Liebe Niederkleener Mitbürger*innen

                                     

Wir möchten Ihnen hier die Problematik des geplanten Industriegebietes im Steinbruch Niederkleen näherbringen.

Im Steinbruch Niederkleen wird schon seit vielen Jahrzehnten Kalkstein abgebaut. Der Abbaubetrieb sollte 2029 beendet sein und es sollten laut einem aktuell noch gültigen Rekultivierungsplan „außerordentlich wertvolle Biotoptypen“ entstehen. Grundsätzliche Schritte der Rekultivierung hätten seit über 10 Jahren bereits vollzogen sein müssen. Die Festschreibung der Rekultivierungsziele in Plänen mit festen Zeitrahmen und spezifischen Genehmigungen sollten juristische Sicherheit für eine Integration in die umgebenden FFH-, Natur- und Auenschutzgebiet gewährleisten.

Jetzt steht dies alles in Frage, der Rekultivierungsplan soll „angepasst“, neue Genehmigungen beantragt werden. Nach der Neuverpachtung mit erheblich verändertem Nutzungsvorhaben soll ein mehrere ha großes Gebiet, inmitten des zu renaturierenden Steinbruches, zu einem Industriegebiet (Sondergebiet) mit Anlagen zur Bodenwäsche und Bauschuttrecycling umgenutzt werden. Die Rekultivierungsziele verschieben sich damit erheblich auf die Zeit nach 2070.

Eine Arbeitsgruppe interessierter Niederkleener Bürger beschäftigt sich seit Anfang 2018 intensiv mit den Risiken und Nebenwirkungen dieses Vorhabens. Es wurden Gutachten, Genehmigungen und Pläne durchgearbeitet und es blieben viele offene Fragen und Bedenken übrig, insbesondere die Grundwassersituation und die umliegenden Naturschutzgebiete betreffend. Leider wurden die Bemühungen um eine umfassende Information durch verwehrte oder verzögerte Einsicht in Gutachten und ähnliche Unterlagen sehr erschwert. Im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung wurde eine Vielzahl von offenen Fragen und Bedenken nicht oder widersprüchlich beantwortet. Beispielsweise die Frage nach einem Kontrollverfahren wurde von der Gemeinde mit „ist Aufgabe des Betreibers und der Aufsichtsbehörde“ und im Gegenzug vom Betreiber mit „ist Aufgabe der Gemeinde“ beantwortet. Hier kontrollieren dann also alle oder keiner?!

Jetzt stehen die Abstimmung über die Änderung des Flächennutzungsplans und die Verabschiedung des Bauplans im Gemeindeparlament an und die Thematik soll zuvor noch einmal im Ortsbeirat Niederkleen am 07.05.2021 sowie im Bau- und Infrastrukturausschuss am 12.05.2021 unter Beteiligung des Planers behandelt werden.

Die nochmalige Beratung in den gemeindlichen Gremien erfolgt, weil ein Vortrag des Steinbruchbetreibers in einer Sitzung des Bau- und Infrastrukturausschusses mit anschließender Fragerunde vieles unbeantwortet blieb und sich die kritischen Stimmen mehrten. Ein anschließend angesetzter Ortstermin fand leider nur für interessierte Parlamentarier statt, hier bekam nur der Betreiber das Wort. Experten oder Kritiker wurden nicht eingeladen!! Die immer wieder durch die Befürworter des Projektes erwähnten strengen Kontrollen bzw. deren Ergebnisse und Berichte werden bisher nicht offengelegt. So zum Beispiel die Protokolle der Laborergebnisse an den Grundwassermessstellen. Auch wird das Aushubmaterial von nur ca. jedem 500sten LKW vom Betreiber beprobt (Eigenkontrolle). Zuvor wird es bei der jeweiligen Baustelle durch den Auftraggeber selbst beprobt. Die Aufsichtsbehörde, deren Aufgabe die Kontrolle von unbelastetem Boden vorzunehmen, kontrolliert dann lediglich die Protokolle der Eigenkontrolle des Betreibers!!!

Es liegt eine dokumentierte Zeugenaussage vor, dass Aushub, der unterhalb der alten Farbenfabrik in Butzbach entnommen wurde, in den Steinbruch Niederkleen eingebaut wurde. Kann ein solcher Aushub unbelastet sein? Das erschließt sich nicht. Entsprechende Nachfragen – auch beim Betreiber – führten lieferten keine Erklärung.

Um Kalkstein abbauen zu können wird schon seit Jahren der natürliche Grundwasserspiegel auf 55 m unterhalb des Auenniveaus abgesenkt, es dürfen bis zu 22l/sec (1,9 Millionen Liter je Tag) abgepumpt werden. Auch dies halten wir für die heutige Zeit mit schon seit Jahren rückläufiger Grundwassernachbildung für nicht mehr verantwortbar (Niederkleen hat in den letzten 12 Jahren jährlich ca. 1/3 weniger Niederschlag erhalten als es durchschnittlich erhalten müsste). Mit der in den Kleebach „entsorgten“ Grundwassermenge könnte der Ortsteil Niederkleen etwa ein Jahr lang mit Trinkwasser versorgt werden.

Die Summe der Unwägbarkeiten, die massive Belastung der Niederkleener Bürger durch Lärm, Staub und erhöhtem Verkehrsaufkommen sowie der Gefahr einer großen Umweltbelastung von Grundwasser und den umgebenden Schutzgebieten, veranlasst uns zu folgender Positionierung:

Die Thematiken rund um die Nutzung des Steinbruches Niederkleen sind äußerst vielschichtig und komplex. Eine Beurteilung und die anstehenden Entscheidungen erfordern einiges Fachwissen, was sich für ehrenamtliche Laien sehr zeitaufwendig gestaltet und ohne fachliche Unterstützung nicht zu erlangen ist.

Nach Wahrnehmung der Bürger*innen, die sich mit dem Thema intensiv befasst haben, waren die bisherigen Verfahrensabschnitte nicht transparent, Verantwortlichkeiten wurden nicht in hinreichender Art und Weise wahrgenommen, Zuständigkeiten wurden zwischen Gemeinde, RP und Unterer Naturschutzbehörde hin und hergeschoben. Fragen, die im Zuge von Anhörungsverfahren gestellt wurden, wurden bis heute nicht oder nicht befriedigend beantwortet, weil die Ausführungen abweichend und gemessen an der Fragestellung oberflächlich beantwortet wurden oder fehlende Zuständigkeit erklärt wurde. Deshalb ist zu befürchten, dass der Informationsgrad der Gemeindegremien nicht ausreichend hoch ist, um die Tragweite der Entscheidungen die für den Steinbruch Niederkleen anstehen ermessen zu können.

Auch der Umstand, dass die Fragen und Einwendungen von dem Projektplaner „abgewogen“ werden, der in engem Kontakt mit dem Betreiber steht, lässt Zweifel an der Objektivität der Abwägung aufkommen. Insgesamt konnte so der Eindruck entstehen, dass kein wirkliches Interesse daran besteht, die Öffentlichkeit ehrlich einzubeziehen und deren Bedenken ernst zu nehmen, weil privatwirtschaftliche Interessen und das (nachvollziehbare) Interesse der Gemeinde an einer wirtschaftlichen Partizipation dem entgegenstehen.

So entstand der Eindruck, dass eine wirklich ernst gemeinte frühzeitige Einbindung der Öffentlichkeit (§ 3 Abs. 1 BauGB – noch unbeeinflusst von verbindlichen Entscheidungen) nicht gewollt ist und nicht ernsthaft verfolgt wird. Als Beleg dafür kann der Umstand benannt werden, dass der interessierten Öffentlichkeit der Zugang zu Informationen und Gutachten möglichst schwer gemacht wurde.

Deshalb fordern wir:

1. Durchführung einer objektiv-offenen Bewertung und Abwägung, bei der der Eindruck vermieden wird, dass das Ergebnis der Abwägung schon vorher feststeht, weil die wirtschaftlichen Vorteile für die Gemeinde in jedem Fall erreicht werden sollen.

Dazu sollen:

2. Daten und Fakten, die in Bedenken und Hinweisen enthalten sind hinsichtlich der Vereinbarkeit bestehender Gesetze und Vorschriften, ernsthaft geprüft werden. Keinesfalls dürfen ihnen mit Begründungen begegnet werden, die an der Oberfläche bleiben und die Unwissenheit der ehrenamtlich Beteiligten „ausnutzen“.

3. Gutachten und ähnliche Unterlagen sind der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bislang wurde die Einsicht in Gutachten und ähnliche Unterlagen z. T. behördlicherseits verwehrt oder erheblich erschwert (Kopierverbot, stattdessen handschriftliche Abschriften…)

4. In dem geordneten Verfahren sollen die bereits vorhandenen umfangreichen offenen Fragen endlich umfassend und mit der erforderlichen ernsthaften Prüfung und Würdigung der darin genannten Rechtsquellen beantwortet werden.

5. Vor einer Zustimmung zur Änderung des Flächennutzungsplanes, die die Umwandlung eines Bergbau­gebietes in ein Sonderbaugebiet Industrie bedeuten würde, muss klar sein, welche Anlagen im Steinbruch betrieben werden sollen. Zuletzt hatte der Betreiber auf Nachfrage zunächst die Antwort gegeben, dazu sei man nicht verpflichtet, um dann aber vier Anlagennummern zu nennen, mit denen Laien wohl eher nichts anfangen können. Hier fordert auch die untere Naturschutzbehörde eine genaue Bezeichnung, um die Emissionen und Auswirkungen auf die umliegenden Schutzgebiete überhaupt beurteilen zu können, dies ist bisher scheinbar nicht geschehen.

Die Gemeinde muss sicherstellen, dass im Steinbruch keine Vorgänge stattfinden, durch die der Gemeinde als Eigentümerin des Steinbruches in der Zukunft ein Schaden entsteht, weil der Betrieb nicht nach bestehenden Vorschriften geführt wurde (z.B. schadstoffbelasteten Boden).

Einige Beispiele zum bisherigen Umgang mit dem Geschehen im Steinbruch:

  • Betonrückstände laufen auf den angrenzenden Acker, über den Straßengraben Richtung Kleebach. Eine neu errichtete Stützmauer und Teile der Sandsilos liegen im vorhandenen FFH Schutzgebiet.
  • Im Gebiet des Steinbruches ist ein Vorbehaltsgebiet Grundwasserschutz. Der Grundwasserspiegel wird um 55 m unterhalb des Auenniveaus abgesenkt, wodurch die Kleebachaue trockenfällt und auch in dem angrenzenden Wald sowie den Ackerflächen der Stress durch Trockenheit ansteigt.
  • Für die Kontrolle des Betreibers fühlt sich keiner zuständig. Auf Nachfrage antwortet der RP: sehen für Kontrollen keinen Anlass und die Gemeinde ist zuständig, die Gemeinde argumentierte bisher: der RP ist zuständig. Dies kann als Zuständigkeitsverweigerung empfunden werden. Hier bedarf es einer genauen Definition der Zuständigkeiten.

An den Betrieb im Planungsbereich incl. des Betonwerkes sind demzufolge folgende Bedingungen zu knüpfen:

  • Im Jan. 2017 wurde eine Wasserprobe des Pumpensumpfes entnommen, in welcher eine Belastung mit fluorierten Kohlenwasserstoffen, Blei und Nickel festgestellt wurde. Diese lag zwar unter dem Grenzwert, dennoch ist hier ganz klar die Notwendigkeit regelmäßiger Unter­­suchungen gegeben. Wem lag dieses Untersuchungsergebnis vor und wurde es weiterverfolgt? Einsichten in das Grundwassermonitoring wurden den Bürgern bisher nicht gewährt.
  • Der Feldweg am Kleebach und auch andere der Öffentlichkeit gewidmete Wege im Planungs­gebiet wurden nie entwidmet und werden der Öffentlichkeit somit ohne Rechts­grundlage entzogen. Es benötigt eine Änderungssatzung durch das Gemeindeparlament unter Beteiligung der Öffentlichkeit.
  • Bezüglich der Erdaushübe, die im Steinbruch in Niederkleen eingebaut werden, bestehen berechtigte Zweifel, ob dies wirklich entsprechend der erteilten Genehmigung erfolgt. Es besteht die Vermutung, dass Erdaushub aus der Baumaßahme Alte Farbenfabrik Butzbach (jetzt Arkaden) im Steinbruch Niederkleen abgeladen wurde. Deshalb wird der Gemeinde­vorstand Langgöns gebeten, bei der Stadt Butzbach nachzufragen, wie der Erdaushub auf Basis der Hessischen Verfüllrichtlinie klassifiziert wurde und wohin er laut den dortigen Unterlagen zur endgültigen Einlagerung verbracht wurde.
  • Schadstoffklasse 1 erfordert den Einbau von Sperrschichten, was bislang laut Betreiber nicht erfolgt ist.

Der Betrieb im Steinbruch Niederkleen ist nur unter folgenden Voraussetzungen überhaupt denkbar:

  1. Umfassendes Monitoring, konsequente, proaktive und unangekündigte Kontrolle des Steinbruchbetriebes veranlasst durch die Gemeinde (z.B. Einhaltung Betriebserlaubnis, Bodenkontrollen, Grundwasser­monitoring). Dazu muss der Gemeindevorstand fortan seine Überwachungsfunktion verantwortlich wahrnehmen, das Verlagern von Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten muss aufhören.

  2. Im Mittelpunkt steht die Implementierung eines wirksamen Kontroll- und Qualitätssystems, das die Einhaltung aller maßgeblichen Vorschriften (z.B.: Flächennutzungsplan, Bauplan, Regionalplan, BImSchG-Genehmigung, Rekultivierungsplan, Landschaftpflegerischer Begleitplan, Maßnahmenplan FFH-Gebiet, Einhaltung der Wasserrahmenrichtlinien mit dem entsprechenden Verschlechterungs­verbot….) durch den Betreiber des Steinbruchs Niederkleen sicherstellt.

  3. Alle Untersuchungsergebnisse sind vollumfänglich zu veröffentlichen. Interessierten Bürger*innen ist von der Gemeinde Einsicht zu gewähren.

Da besonders die Auswirkungen des Vorhabens auf Bevölkerung und Umwelt kritisch gesehen werden, regt die Initiative ZUKUNFT:JETZT! an, auch im Umweltausschuss unter Einbeziehung der interessierten Bürgerschaft und fachlich kompetenten Personen noch einmal abzuwägen.